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Markteinschätzung

„EU or not EU?“

 „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“ (auf Englisch: To be, or not to be, that is the question) ist ein Zitat aus der Tragödie Hamlet, Prinz von Dänemark von William Shakespeare, 3. Aufzug, 1. Szene. Nach gregorianischen Kalender jährt sich heute zum 400. Mal der Todestag von Wilhelm Shakespeare. In wenigen Wochen, am 23. Juni, entscheiden die Briten über ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Eine existentielle Frage, vermutlich nicht nur für Großbritannien. „EU or not EU“ lautet dann, frei nach Shakespeare, die entscheidende Frage für die Einwohner des Königreiches. Dabei sind die Diskussionen um den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union so alt wie die Mitgliedschaft selbst. Am 1. Januar 1973 trat das Vereinigte Königreich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bei. So richtig dabei waren die Briten aber nie, sie haben immer wieder eine Sonderrolle beansprucht und diese auch ausgelebt. 

Zwar war die Europäische Union auf der Insel nie wirklich populär, aber je näher der Wahltag kommt, desto stärker wird plötzlich der politische Gegenwind für die Befürworter eines Ausstiegs aus der Europäischen Union. Bei den englischen Buchmachern lässt sich das aktuelle Meinungsbild am einfachsten und vermutlich ehrlichsten abrufen. Vor einer Woche noch ergab sich aus den Wetteinsätzen eine Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent dafür, dass Britannien in der EU bleibt. Aktuell hat sich dieser Wert nun auf 75 Prozent erhöht. Wer gegen den „Brexit“ wettet, dem bietet die Online-Wettbörse Betfair derzeit eine Quote von 3 für 10: Für einen Einsatz von 10 Pfund erhält man im Gewinnfall 13 Pfund zurück. Manche Beobachter halten die Wettquoten für aussagekräftiger als die Umfragen der Demoskopen. Schließlich geht es für die Zocker um das eigene Geld. 

Rückenwind erhalten die Gegner eines Ausstiegs derzeit auch von führenden Wirtschaftsinstituten. Diese warnen einhellig vor einem „Brexit“. Kürzlich hatte bereits der Internationale Währungsfonds (IWF) vor einem Austritt aus der Union gewarnt. In der letzten Woche veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihr, für EU-Gegner, niederschmetterndes Ergebnis. Bei einem „Brexit“ wäre die britische Wirtschaftskraft im Jahr 2020 um über drei Prozent niedriger als bei einem Verbleib in der EU, heißt es in der Studie. Das würde für jeden Briten einen Verlust von 2.200 Pfund ausmachen (2.840 Euro). Im Jahr 2030 könnte jeder britische Haushalt im schlimmsten Fall sogar jährlich mit bis zu 5.000 Pfund (rund 6.500 Euro) belastet werden. Ein Ausstieg würde für die Briten langfristig wie eine zusätzliche Steuer wirken. Solche Untersuchungen verfehlen offensichtlich ihre Wirkung nicht. Beim Thema Geld lässt die „Brexit“-Euphorie auch auf der Insel spürbar nach. 

Die Risiken für die britische Volkswirtschaft sind in der Tat erheblich. Vor allen das „twin deficit“ (Zwillingsdefizit) Großbritanniens ist für die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas gefährlich. Von einem Zwillingsdefizit wird gesprochen, wenn ein Staat sowohl ein Haushaltsdefizit als auch ein Leistungsbilanzdefizit aufweist. Ein Leistungsbilanzdefizit bedeutet in der Regel, dass die jeweilige Volkswirtschaft mehr Güter (Waren und Dienstleistungen) importiert als exportiert. Die Volkswirtschaft produziert weniger, als sie konsumiert. Als Folge gerät die eigene Währung stark unter Druck und wertet massiv ab. Mit mehr als 5 Prozent der Wirtschaftsleistung ist das Leistungsbilanzdefizit der Briten alarmierend hoch. Die Devisenmarktexperten der UBS halten es für möglich, dass die britische Währung bis auf einen Kurs von eins zu eins zum Euro absackt. Das Haushaltsdefizit des Staates liegt mit fast 4 Prozent der Wirtschaftsleistung ebenfalls deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Für eine Volkswirtschaft eine bedrohliche Kombination. 

Massiv leiden unter einem Ausstieg würde vor allem der Finanzstandort London. Stimmen die Briten im Juni für den Austritt, würde das Land zunächst in der EU bleiben, doch die Regierung müsste mit Brüssel aushandeln, welchen Bedingungen Geschäfte über den Ärmelkanal mit dem Rest von Europa in Zukunft unterliegen. Solange diese Verträge nicht abgeschlossen sind, herrscht Unsicherheit. Solche Zustände sind Gift für die Wirtschaft. Unternehmen werden Investitionen 

aufschieben, die Konjunktur würde leiden. Wollen etwa amerikanische Banken Abteilungen in Europa aufstocken, werden sie dafür statt London lieber einen Standort in der Euro-Zone wählen. Zum Beispiel Frankfurt. Da wissen sie wenigstens, woran sie sind. 

Aber die potentiellen Auswirkungen eines Austritts reichen auch weit über die Insel hinaus. Es ist eine Schicksalsfrage nicht nur für das Vereinigte Königreich, sondern für ganz Europa. Noch nie in der Geschichte der EU hat es eine vergleichbare basisdemokratische Grundsatzentscheidung in einem Mitgliedstaat gegeben und noch nie hat ein langjähriges Mitglied den europäischen Staatenbund verlassen. Die Schockwellen eines britischen Austritts wären wahrscheinlich auch an den kontinentaleuropäischen Finanzmärkten zu spüren. Die Analysten der amerikanischen Citigroup warnen, für Investoren sei das „Brexit“-Referendum der Briten neben den Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten global eines der brisantesten politischen Risiken in diesem Jahr. 

Spannende Auswirkungen hätte ein Verlassen der Europäischen Union übrigens auch für den englischen Fußball. Nach den derzeitigen Regularien der Europäischen Union dürfen Lizenzspieler mit einem EU-Pass ohne Auflage im Vereinigten Königreich auflaufen. Spieler, die keine Unionsbürger sind, müssen dagegen die strikten Kriterien des britischen Innenministeriums, des "Home Office", erfüllen, um eine Arbeitserlaubnis auf der Insel zu bekommen. Bei einem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union bräuchten ad hoc hunderte Spieler ein Visum, um weiter in der Profiliga spielen zu dürfen. Nach einer Berechnung des Fernsehsenders BBC würden derzeit 332 Spieler der ersten beiden Ligen Englands und Schottlands diese Kriterien nicht erfüllen. Über 100 Spieler in der Premier League, darunter auch deutsche Profis wie Mesut Özil oder Bastian Schweinsteiger, wären betroffen. Es ist zu vermuten, das spätestens beim Thema Fußball, so mancher Brite zum leidenschaftlichen Europäer avanciert. 

Aktuell wirkt sich die Diskussion um einen „Brexit“ bereits auf die englische Nationalmannschaft aus. Seit Jahresbeginn hat der Euro fast 7 Prozent gegenüber der britischen Währung gewonnen. Mit jedem Tag nimmt der Abwertungsdruck auf das Pfund bereits zu und verteuert damit den Ausflug in das Europameisterschafts-Quartier in Chantilly in der Nähe von Paris für die britische Nationalmannschaft. Mehrere hundert Euro kostet Medienberichten zufolge eine Übernachtung im „Auberge du Jeu de Paume“. Das fallende Pfund macht die Reise teurer. 

Der Juni wird, soviel steht bereits fest, spannend für Europa und den englischen Fußball. Die Abstimmung fällt mitten in die Vorrunde der Europameisterschaft. Die Frage nach Sein oder Nichtsein stellt sich in diesen Tagen dann für England nicht nur auf dem Fußballplatz. In einem Punkt sind sich die englischen Historiker übrigens einig. Shakespeare würde gegen einen „Brexit“ stimmen.



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