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Wochenrückblick 2. November - 6. November 2020

Börsenirrtum: Gegen Wachstum gewettet ...von Stephan Heibel
Nichts ist spannender als Wirtschaft. Ich will versuchen, die Aktienmarktbewegung der vergangenen zwei Wochen zu erklären. Täglich schaue ich mir die "Heatmaps" der verschiedenen Aktienmärkte an, die Bilder, in denen Gewinner und Verlierer, sortiert nach Branchen, farblich kenntlich gemacht werden. Heatmaps ermöglichen einen Blick in die Gemütslage der Anleger.

Schauen wir zunächst einmal auf den bisherigen Jahresverlauf des DAX:

DAX20201106
Abbildung 1: DAX Jahreschart 2020


Nach dem Corona-Crash im März folgte eine Erholung bis zum Juni. Der Großteil der erlittenen Corona-Verluste war also binnen drei Monaten wieder ausgeglichen. Es folgte eine Seitwärtsbewegung, die bis vor zwei Wochen anhielt. Immer wieder nahm der DAX Anlauf, seine Erholungsrallye fortzusetzen, doch es gelang nicht.

"Wer hoch springen will, muss zunächst tief in die Hocke gehen", lautet ein Börsenspruch, der sich nun als wahr herausstellen könnte.

Zwei Themen dominieren in den Köpfen der Anleger: Corona und US-Präsidentschaftswahl. Vor zwei Wochen sah alles nach einem Erdrutschsieg Joe Bidens aus. Umfragen zeigten einen deutlich größeren Vorsprung Bidens gegenüber Trump, als vor vier Jahren Clintons gegenüber Trump zu diesem Zeitpunkt. Plötzlich machte der Begriff "blaue Welle" die Runde, Joe Bidens Demokraten, die durch die blaue Farbe dargestellt werden, könnten nicht nur den Präsidenten, sondern sogar auch die Mehrheit in beiden Häusern, Senat und Kongress, stellen.

Das wäre eine Situation, die in der Regel zwei Jahre anhält (bis zu den mid-term elections). Es sind zwei Jahre, in denen die Demokraten viele ihrer Ideen umsetzen können, ohne dass die Opposition der Republikaner etwas dagegen tun kann. Das gibt es in den USA sehr häufig zu Beginn von Präsidentschaften.

Joe Biden hätte also die Möglichkeit, seine Versprechen vollständig umzusetzen. Es würde Steuererhöhungen für die "Reichen" sowie für Unternehmen geben, ein Konjunkturprogramm im Volumen von bis zu 5 Billionen USD würde verabschiedet. Der Gesundheitssektor würde wieder stärker an der Überzeugung der Demokraten ausgerichtet werden.

Das würde bedeuten, dass Unternehmen, die viel Gewinn machen, viele Steuern zahlen müssten. An wen denken Sie da? Ja, die Technologieunternehmen. So wurden in der letzten Oktoberwoche die Corona-Gewinner und Technologieaktien verkauft, gemeinsam mit den Aktien der Gesundheitsbranche. An der Wallstreet wurde das Ende der Wachstumsbranchen ausgerufen, weil die blaue Welle für Umverteilungen sorgen würde.

So wurde das Monatsende genutzt, um sich defensiv, also mit viel Cash, vor den Wahlen zu positionieren. Daran konnten auch herausragende Q-Zahlen der Tech-Unternehmen nichts ändern. Nun konnten die Turbulenzen beginnen.

Am Wochenende dämmerte es den Anlegern, dass nicht alles schlecht ist, wenn die blaue Welle kommt: Ein Konjunkturprogramm der Demokraten hat einen Schwerpunkt bei der Infrastruktur, also Brücken- und Straßenbau. Es würden also Unternehmen davon profitieren, die in den "alten" Branchen unterwegs sind. Weil dort seit langem kaum noch Wachstum zu erzielen ist, sind deren Aktien auf einem Bewertungsniveau, das man mit "value" bezeichnet. Hohe Dividenden im Verhältnis zur niedrigen Bewertung.

So schossen die Aktienmärkte am Montag in die Höhe, an der Spitze standen Value-Aktien. Technologieaktien, mit denen ich unser Heibel-Ticker Portfolio vollgestopft hatte, wurden zurückgelassen. Das setzte sich am Dienstag, am Wahltag, fort. Erst mit der Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen, denen bald zu entnehmen war, dass die blaue Welle nicht mehr als ein demokratischer Traum war, änderte sich erneut die Stimmung an den Aktienmärkten.

Es zeichnete sich frühzeitig ab, dass der Senat in der Hand der Republikaner bleiben wird, der Kongress hingegen wird in der Hand der Demokraten bleiben. "Gridlock" nennen die Amerikaner das: Pattsituation. Wichtige Vorhaben des Präsidenten, egal ob er Trump oder Biden heißen wird, können nur mit Zustimmung beider Parteien umgesetzt werden. Ein Präsident Joe Biden wird also kein Konjunkturprogramm im Volumen von 5 Billionen umsetzen können, sondern einen Kompromiss mit den Republikanern suchen müssen. Er wird also keine Steuererhöhungen für Unternehmen und die Reichen umsetzen können, ohne mit den Republikanern einen Kompromiss zu finden.

Aus Sicht der Börse heißt das: Alles bleibt beim Alten.

Unternehmen lieben eine Pattsituation. Sie können sich auf die aktuelle Situation einstellen und konzentrieren sich auf ihr Geschäft. Je größer die Ungewissheit vor Änderungen in der Steuergesetzgebung desto größer der Risikoabschlag, den Anleger bei der Bewertung von Aktien ansetzen. Dieser Risikoabschlag ist nun also deutlich kleiner als noch in der Vorwoche angenommen wurde.

Und so korrigierten Anleger flugs ihren Fehler der Vorwoche, als sie Technologieaktien, die Aktien der Gesundheitsbranche und Coronagewinner, verkauft hatten. Nun schossen die Aktien der Unternehmen in die Höhe, die in der Vorwoche herausragende Q-Zahlen veröffentlicht hatten. Diese Reaktion dauerte den gesamten Mittwoch und Donnerstag. Der Fehler der Vorwoche wurde nun korrigiert.

Stand heute also: Pattsituation und noch immer kein neuer US-Präsident.

Joe Biden liegt derzeit vorn und allen Prognosen zufolge wird er wohl das Rennen machen. Noch-Präsident Trump zieht schon vor Gericht, um seine Wahlniederlage anzufechten. Die beste Erklärung für das Missverständnis, dem Donald Trump erlegen ist, habe ich auf Twitter gesehen: Er war wohl davon ausgegangen, dass "Präsidentenwahl" bedeutet, dass sein Volk seinen Präsidenten, also ihn, wählt. Schließlich ist doch nur er Präsident, und nicht Joe Biden.

Spaß beiseite, ich habe keine deutschsprachige Erklärung für die Einwände Donald Trumps gefunden. Hierzulande begnügt man sich damit, ihn als verrückt darzustellen. Tatsächlich jedoch haben die Demokraten in den vergangenen Monaten vier nennenswerte Änderungen im Wahlsystem erwirkt.

1. Briefwahlunterlagen sollen frankierte Rückumschläge beinhalten. Das war bislang nicht so, dieser Vorschlag wurde auch von den Republikanern unterstützt.

2. Briefwahlunterlagen sind gültig, wenn der Poststempel spätestens am Wahltag aufgebracht wurde. Nicht alle Briefe werden mit einem Poststempel versehen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber hier beginnt der Widerstand der Republikaner.

3. Die Unterschriftenprüfung wurde von den Demokraten als Pseudowissenschaft bezeichnet. Es wurden Verfahren eingeführt, um bei einer negativ ausgefallenen Unterschriftsprüfung den Wähler erneut zu kontaktieren und zu einer Korrektur zu bewegen. Bislang wurden entsprechende Briefwahlunterlagen einfach für ungültig erklärt.

4. Über die offiziellen Wahlhelfer hinaus haben die Demokraten erwirkt, dass auch Dritte, genannt Nachbarschaftshelfer, eingesetzt werden können, um Stimmzettel in eigenen Wahlurnen einzusammeln. Die Republikaner haben diese Änderung kritisiert, da sie dazu führe, dass gezielt Freunde abgeklappert würden, von denen man wisse, dass die "richtige" Partei gewählt werde.

Ich bin kein Jurist, aber grundsätzlich sind dies vier Punkte, die keine der beiden Parteien systematisch bevorteilen. Es handelt sich jedoch überwiegend um Vorschriften der einzelnen Bundesstaaten, es gibt also zu den vier Punkten je 50 verschiedene Regelungen. Das macht das Ganze unendlich komplex und im Einzelfall lässt sich da vielleicht ein juristischer Erfolg seitens Trump erzielen. Ich kann mir aber schwer vorstellen, dass Donald Trump mit seinen Klagen das Blatt noch wird wenden können.

Der Wille des Volkes ist subjektiv, nicht umsonst sind die Wahlkampfbudgets so gigantisch. Vor vier Jahren hat Donald Trump mit Hilfe von Cambridge Analytics Wähler mobilisiert, die von Hillary Clinton nicht erreicht wurden. Dieses mal hat Joe Biden Wähler mobilisiert, die von Donald Trump nicht erreicht wurden.

Noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt, und noch haben die Gerichte nicht gesprochen. Noch haben die Wahlmänner nicht ihre Stimme abgegeben und noch ist kein neuer Präsident im Amt. Dieser wird am 20. Januar in sein Amt eingeführt, egal was bis dahin noch an Turbulenzen, an Rechtsstreitigkeiten und an sonstigen Skandalen passieren wird. Und egal, wer am 20. Januar Präsident wird, er sieht sich einer Pattsituation gegenüber.

Somit ist aus Sicht der Börse das einzig Ungewisse noch die Geopolitik. Auch Joe Biden würde hart gegenüber China auftreten und auch Joe Biden würde den Nato-Partner Deutschland auffordern, zu seinem Bündnisversprechen (Wehretat) zu stehen. Der Tonfall würde sich jedoch ändern, überraschende Stimmungswechsel dürften ausbleiben und ein konstruktiver, vielleicht sogar kollegialer Tonfall zu diesen Themen in der Politik würde die Finanzmärkte beruhigen.

Entsprechend sind auch die China-Aktien bislang noch nicht von der Rallye ergriffen. Ja, alle Aktien sind in dieser Woche gestiegen, aber Aktien von US-Unternehmen mit einem starken Chinageschäft sind bislang unterproportional angestiegen. Dabei haben gerade diese Aktien in den vergangenen Jahren am stärksten gelitten.

Nachdem also zunächst Value-Aktien und dann Wachstumsaktien die Rallye dieser Woche angeheizt haben, dürfte die dritte Phase der Rallye durch China-Aktien angetrieben werden.

Schauen wir mal, wie sich die wichtigsten Indizes im Wochenvergleich entwickelt haben:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

 
INDIZES 5.11.20 Woche Δ Σ '20 Δ
Dow Jones 28.399  7,4% -0,9%
DAX 12.480  8,0% -5,8%
Nikkei 24.325  5,9% 2,8%
Shanghai A  3.471  2,7% 9,0%
Euro/US-Dollar 1,19 2,0% 6,2%
Euro/Yen 122,80 0,8% 0,5%
10-Jahres-US-Anleihe 0,83% -0,04 -1,11
Umlaufrendite Dt -0,64% 0,00 -0,41
Feinunze Gold $1.953  3,8% 29,1%
Fass Brent Öl $39,51  5,6% -42,6%
Kupfer 6.748  0,8% 8,7%
Baltic Dry Shipping 1.194  -7,9% 9,5%
Bitcoin 15.522  15,2% 112,9%



Dax in der Vorwoche -9%, diese Woche +9%. Eine Achterbahnfahrt. In den USA sieht es ähnlich aus.
 

Disclaimer: Der Wochenrückblick wurde von Stephan Heibel verfasst, Herausgeber des Heibel-Ticker Börsenbriefes, den Sie unter www.heibel-ticker.de kostenfrei und unverbindlich beziehen können.

Wer un- oder überpersönliche Schreib- oder Redeweisen nachmacht oder verfälscht oder nachgemachte oder verfälschte un- oder überpersönliche Schreib- oder Redeweisen in Umlauf setzt, wird mit Lust-, manchmal auch mit Erkenntnisgewinn belohnt; und wenn alles gut geht, fällt davon sogar etwas für Sie ab. (frei nach Robert Gernhardt) Wir recherchieren sorgfältig und richten uns selber nach unseren Anlageideen. Für unsere eigenen Transaktionen befolgen wir Compliance Regeln, die auf unsere eigene Initiative von der BaFin abgesegnet wurden. Dennoch müssen wir jegliche Regressansprüche ausschließen, die aus der Verwendung der Inhalte des Heibel-Tickers entstehen könnten. Die Inhalte des Heibel-Tickers spiegeln unsere Meinung wider. Sie stellen keine Beratung, schon gar keine Anlageempfehlungen dar. Die Börse ist ein komplexes Gebilde mit eigenen Regeln. Anlageentscheidungen sollten nur von Anlegern mit entsprechenden Kenntnissen und Erfahrungen vorgenommen werden. Anleger, die kein tiefgreifendes Know-how über die Börse besitzen, sollten unbedingt vor einer Anlageentscheidung die eigene Hausbank oder einen Vermögensverwalter konsultieren. Die Verwendung der Inhalte dieses Wochenrückblicks erfolgt auf eigene Gefahr. Die Geldanlage an der Börse beinhaltet das Risiko enormer Verluste bis hin zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals.

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