ARNOLD & PARTNER - Finanz- und Versicherungsmakler

Wochenrückblick 7. Dezember - 11. Dezember 2020

Die (Aktien-)Welt von Übermorgen ...von Stephan Heibel
Ach wären wir doch nochmal 20. Wir würden die Aktien kaufen, die übermorgen zu Weltkonzernen gehören. An der Börse wird die Zukunft gehandelt, doch in diesen Tagen habe ich den Eindruck, es wird die ferne Zukunft gehandelt. Nicht Morgen, sondern Übermorgen.

BÖRSENGANG VON DOORDASH MIT 80% KURSSPRUNG AM ERSTEN HANDELSTAG

Doordash ist am Mittwoch an die US-Börse gegangen: das Unternehmen hat in den vergangenen zwei Jahren Grubhub (20%) sowie Uber East (22%) in die Schranken verwiesen und sicherte sich in den USA einen Marktanteil von 49% für Essenslieferungen nach Hause. Im Jahr 2019 setzte der Konzern 885 Mio. USD um, im laufenden Jahr werden es dank Corona wohl 2,5 Mrd. USD. Unsere Rule 40 überspringt das Unternehmen locker (Umsatzwachstum + Gewinnmarge > 40), denn bei fast 200% Umsatzwachstum spielt der Verlust von 12% kaum eine nennenswerte Rolle.

Wir haben im DAX auch ein Unternehmen, das mit der Essensauslieferung Geld verdient: Delivery Hero setzte im Jahr 2019 sogar 1,5 Mrd. Euro um, für das laufende Jahr werden 2,5 Mrd. Euro erwartet. Oha, nur 66% Umsatzwachstum und eine Gewinnmarge von -24%. Das wird knapp, aber auch Delivery Hero landet noch über der 40er-Regel.

Delivery Hero wird mit abenteuerlichen 22 Mrd. Euro bewertet, ein Kurs/Umsatz-Verhältnis (KUV 21e) von 9.

Doordash ging zum Kurs von 102 USD an die Börse und wollte gerne 29 Mrd. USD wert sein. Das entspricht einem KUV 21e von 11. Jeder, der die obige Rechnung nachvollziehen kann, wird mir zustimmen, dass Doordash aufgrund der größeren Wachstumsrate und der nicht ganz so dramatischen Verlustmarge höher bewertet sein muss als Delivery Hero. Soweit so gut.

Das fanden auch die Anleger und kauften die Aktie unlimitiert zu 180 USD, am Ende des Tages stand die Aktie bei 186 USD. Die Marktkapitalisierung liegt damit bei 53 Mrd. USD, das KUV 21e liegt bei 21.

Aber es gibt tatsächlich Bewertungsansätze, die diese hohe Bewertung rechtfertigen: Doordash unterscheidet Kosten, die für den Umsatz erforderlich sind, und Kosten, die für Marketing, Investitionen, Administration etc. anfallen. Die Kosten des Umsatzes (bspw. Botengehalt) sind in den vergangenen 18 Monaten von einem Anteil von 74% am Umsatz auf zuletzt 43% gesunken. Je besser das Geschäft skaliert, also je mehr Marktanteil Doordash gewinnt, desto geringer wird der Anteil dieser Kosten. 38% scheinen schon bald erreichbar.

Die anderen Kosten sind zu einem Teil variabel, so könnte das Marketing deutlich reduziert werden, wenn man Marktführer ist. Auch die Administrationskosten werden anteilig immer geringer. So wird dem Geschäftsmodell Odell von Doordash eine normalisierte, also um Sondereffekte des Wachstums bereinigte Gewinnmarge von 21% zugetraut. Lukrativ, oder?

Doordash ist geschickt vorgegangen, um den US-Markt zu erobern: Das Unternehmen hat sich, anders als alle anderen, auf die Vororte und niedrig besiedelten Gebiete konzentriert. Natürlich ist das Volumen in der Innenstadt deutlich höher und die Boten sind schnell ausgelastet und haben nur kurze Strecken. Dafür ist der Wettbewerb dort aber heftig, wenn nicht sogar ruinös.

In den Vororten traf Doordash auf dankbare Abnehmer, sowohl seitens der dort lebenden Menschen, die für Lieferungen auch gerne einen Dollar mehr zahlten, als auch seitens der Restaurants, die von der einfachen Anbindung an das Doordash-System profitierten. So bediente Doordash einen Markt, der bislang vergessen wurde.

Außerdem hat Doordash 175 der 200 größten US-Restaurantketten als Partner gewonnen. Viele von Ihnen werden wissen, dass es die kleinen, eigentümerbetriebenen Restaurants, wie wir sie kennen, in den USA kaum gibt. Fastfood dominiert und was dort Restaurant heißt, folgt häufig dem McDonald oder PizzaHut Prinzip, lediglich ein wenig hochwertiger.

Ich habe ein Interview mit dem CEO Tony Xu gesehen. Er sprach davon, dass derzeit nur 10% aller Restaurants überhaupt einen Lieferdienst anbieten. Da geht es also gar nicht um die verbleibenden 50% des Kuchens, um die sich Doordash mit anderen Lieferdiensten streiten müsste, sondern es geht um den Anschluss weiterer Restaurants an das Liefersystem. Damit sind hohe Wachstumsraten auch in Zukunft möglich.

Wenn ich jetzt 20 wäre, würde ich mir auch überlegen, wo Doordash denn in 20 Jahren stehen könnte. Die jungen Leute bestellen gerne Essen nach Hause und bedauern es, dass nicht alle Restaurants diesen Service anbieten. Sollte Doordash in 10 Jahren die Hälfte von einem zehnmal so großen Markt bedienen, dann wäre die Bewertung günstig. Wenn wir dann noch das Selbstverständnis der Amerikaner einbeziehen, die stets davon ausgehen, dass die überlegenen US-Unternehmen die ganze Welt erobern, dann ist die Aktie tatsächlich billig :-).

Ich bin aber nicht mehr 20 und weiß, dass auf dem Weg dorthin viel passieren kann. Außerdem dauert mir das zu lange. Ich lasse die Finger von dieser Aktie.

Eine Überlegung noch zum Corona-Effekt: Ich denke nicht, dass Doordash einen Einmal-Umsatz durch Corona bekommen hat, der im nächsten Jahr wieder verschwindet. Vielmehr ist eine Entwicklung, die sich ohnehin abzeichnete, beschleunigt worden. Doordash ist im Jahr 2020 dank Corona bereits dort, wo sie ursprünglich erst 2023 sein wollten.

BÖRSENGANG VON AIRBNB MIT 112% KURSSPRUNG AM ERSTEN HANDELSTAG

Nur einen Tag später, am gestrigen Donnerstag, ist dann AirBnB an die Börse gegangen. Der Ausgabekurs wurde auf 68 USD gesetzt, der erste Kurs wurde bei 165 USD notiert: +142% vom Start weg. Am Ende des Tages war die Aktie auf 144 USD zurückgekommen, die Marktkapitalisierung beträgt nun also 86 Mrd. USD. Im laufenden Jahr wird AirBnB knapp über 3 Mrd. USD umsetzen, ein starker Rückgang im Vergleich zu 2019, als noch 4,8 Mrd. USD umgesetzt wurden. Das KUV 21e liegt also bei 29.

TUI mit einem Corona bedingten Umsatzrückgang von 19 auf 8 Mrd. Euro ist noch 2,5 Mrd. Euro wert. Hier treffen old economy und new economy aufeinander: das Rundum-sorglos-Paket mit Reiseleitung ist für die jungen Leute, die fließend Englisch sprechen, nicht erforderlich. Flexibilität und Individualität werden groß geschrieben und der vermeintliche Vorteil, den ein großer Reisekonzern als Vertragspartner für den Urlauber hat, ist weitgehend aufgehoben, da AirBnB mit unzähligen Sicherheitsmaßnahmen Vertrauen geschaffen hat.

Der Preis für dieses System ist jedoch auch nicht gering. Das Unternehmen hat ein komplexes System ausgeklügelt, das die Zahlung des Kunden schützt. Das Bewertungssystem funktioniert blendend, es gibt wohl keinen Reisenden, der sich nicht wenigstens ein paar Bewertungen zu seinem künftigen Gastgeber durchliest.

Bei AirBnB sind die Kosten für den Geschäftsbetrieb geringer, es gibt keine Boten. Dafür muss die Software kontinuierlich weiterentwickelt werden. Wenn wir uns eine normalisierte Gewinnmarge ausdenken, landen wir bei einer ähnlichen Marge wie bei Doordash: 25%.

In meinen Augen hat AirBnB jedoch bereits eine Monopolstellung weltweit eingenommen. Da wird kein Wettbewerber mehr dran kommen und beim Geschäftsmodell handelt es sich um eine "natürliche" Monopolstellung. Das heißt, je mehr Reisende Unterkünfte über AirBnB nachfragen, desto mehr Zimmer werden darüber angeboten. Und wenn dort die meisten Zimmer angeboten werden, wird jeder Reisende zuerst dort nach einer Unterkunft nachschauen.

Was ist mit denen, die nicht fließend Englisch sprechen? Nun, das mag für Sie vielleicht zu futuristisch klingen, aber in der Jugend sind sich viele sicher, dass sie später in alle Länder der Erde reisen und sich dort mit den Einheimischen unterhalten können, ohne den Umweg über Englisch gehen zu müssen: Apple AirPods im Ohr werden das, was Sie hören, in Echtzeit in Ihre Sprache übersetzen können. Und Ihr Gegenüber wird auch entsprechende Produkte im Ohr haben.

ÜBERZEUGUNGSKÄUFE

Im Jahr 2020 sind viele neue, junge Anleger an die Aktienbörse gekommen. Ein Crash ist für Neulinge ein gefundener Einstiegspunkt und so leicht es uns hier im Heibel-Ticker gefallen sein mag, mitten im Crash zu investieren, so schwer ist es den "erfahrenen" Anlegern gefallen. Die Liste der Beweise für die Weltuntergangsszenarien war lang, eine Erholung, wie wir sie erlebt haben, war für alle "erfahrenen" Börsianer kaum vorstellbar. Doch junge Anleger, die erst im April oder Mai ihre ersten Aktien kauften, kennen das Gefühl noch gar nicht, Verluste zu machen. Für diese jungen Anleger ist die Börse nun ein Vehikel, mit dem man die Zukunft heute schon abbilden kann. Was machen da schon ein paar Jahre Unterschied aus, wenn es um den Zeithorizont geht. Mit der Erfahrung von nur wenigen Monaten treten solche Bedenken in den Hintergrund.

So kann auch Delivery Hero diese Woche 10% zulegen. Natürlich hilft der nunmehr erneut drohende harte Lockdown für Deutschland, um diese Aktie nach oben zu treiben. Dabei wissen diese jungen Anleger vermutlich gar nicht, dass Delivery Hero überwiegend im asiatischen Raum unterwegs ist und in Deutschland gar kein Geschäft hat - das Unternehmen würde vom harten Lockdown gar nicht profitieren.

HelloFresh ist um 27% angesprungen, das Unternehmen ist ein Essenslieferant, eigenes Essen!, in Deutschland und profitiert sicherlich exorbitant davon, wenn es nochmals einen harten Lockdown geben sollte.

Auf der Verliererseite stehen TUI mit -16% und Ceconomy (-11%), deren Saturn- und Mediamärkte wohl geschlossen würden.

Bis heute hatte sich der DAX in dieser Woche recht gut gehalten, doch heute geht's runter. Die Angst vor einem erneuten harten Lockdown wird als Begründung angeführt. Ich würde einwerfen, dass die beiden US-Börsengänge so viel Liquidität aufgesogen haben, dass einfach zu viele Aktien angeboten werden. Und eines kennen auch die neuen, jungen Anleger: Gewinne mitnehmen. Nach einem erfolgreichen Jahr muss irgendwann etwas verkauft werden, um den Gewinn in schöne Weihnachtsgeschenke stecken zu können.

Gestern hat EZB-Chefin Christine Lagarde die lockere Geldpolitik der Notenbank verlängert und weiter ausgeweitet. Ich würde gerne sagen, dass mich dieser Schritt überrascht, weil er nicht in meinen volkswirtschaftlich geschulten Kopf hinein passt. Doch im Gegenteil, sie tut, was von ihr erwartet wird. Von dieser Seite gibt es eigentlich keinen Grund für den heutigen Ausverkauf. Ich werde in Kapitel 04 näher analysieren, wie wir uns vor dem Hintergrund der ausgeweiteten Liquiditätsflutung positionieren werden.

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

 
INDIZES 10.12.20 Woche Δ Σ '20 Δ
Dow Jones 29.916  -0,7% 4,4%
DAX 13.132  -1,0% -0,9%
Nikkei 26.653  -0,4% 12,7%
Shanghai A  3.508  -2,8% 10,1%
Euro/US-Dollar 1,21 -0,3% 8,2%
Euro/Yen 125,91 -0,4% 3,0%
10-Jahres-US-Anleihe 0,88% -0,10 -1,05
Umlaufrendite Dt -0,63% -0,07 -0,40
Feinunze Gold $1.846  0,5% 22,0%
Fass Brent Öl $50,10  2,0% -27,2%
Kupfer 7.868  2,7% 26,7%
Baltic Dry Shipping 1.161  -2,4% 6,5%
Bitcoin 18.138  -6,4% 148,7%



Die beiden Mega-IPOs der USA (Doordash und AirBnB) haben viel Liquidität aufgesogen, nun folgt eine überfällige Konsolidierung. Der DAX rutscht bis zum heutigen Mittag um 1,7% ins Minus. Mal schauen, was die USA noch so bringen, die erst am Nachmittag ihre Börse öffnen.

Disclaimer: Der Wochenrückblick wurde von Stephan Heibel verfasst, Herausgeber des Heibel-Ticker Börsenbriefes, den Sie unter www.heibel-ticker.de kostenfrei und unverbindlich beziehen können.

Wer un- oder überpersönliche Schreib- oder Redeweisen nachmacht oder verfälscht oder nachgemachte oder verfälschte un- oder überpersönliche Schreib- oder Redeweisen in Umlauf setzt, wird mit Lust-, manchmal auch mit Erkenntnisgewinn belohnt; und wenn alles gut geht, fällt davon sogar etwas für Sie ab. (frei nach Robert Gernhardt) Wir recherchieren sorgfältig und richten uns selber nach unseren Anlageideen. Für unsere eigenen Transaktionen befolgen wir Compliance Regeln, die auf unsere eigene Initiative von der BaFin abgesegnet wurden. Dennoch müssen wir jegliche Regressansprüche ausschließen, die aus der Verwendung der Inhalte des Heibel-Tickers entstehen könnten. Die Inhalte des Heibel-Tickers spiegeln unsere Meinung wider. Sie stellen keine Beratung, schon gar keine Anlageempfehlungen dar. Die Börse ist ein komplexes Gebilde mit eigenen Regeln. Anlageentscheidungen sollten nur von Anlegern mit entsprechenden Kenntnissen und Erfahrungen vorgenommen werden. Anleger, die kein tiefgreifendes Know-how über die Börse besitzen, sollten unbedingt vor einer Anlageentscheidung die eigene Hausbank oder einen Vermögensverwalter konsultieren. Die Verwendung der Inhalte dieses Wochenrückblicks erfolgt auf eigene Gefahr. Die Geldanlage an der Börse beinhaltet das Risiko enormer Verluste bis hin zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals.

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